Das Internationale Jahr für Höhlen und Karst in 2021 (http://iyck2021.org/) wurde aufgrund der Corona-Pandemie auf das Jahr 2022 ausgeweitet. Es soll mit einer Reihe öffentlichkeitswirksamer Aktionen auf die Schutzwürdigkeit der Karstlandschaften und ihrer vielfältigen Erscheinungsformen aufmerksam machen. Eine dieser Aktionen ist die Auswahl eines internationalen "Höhlentier des Jahres". Hierzu wurde für 2022 die Gruppe der Fledermäuse ausgewählt, aus der jedes teilnehmende Land eine regional vorkommende in Höhlen lebende Fledermaus auswählen und diese der Öffentlichkeit und den Behörden als "Höhlentier des Jahres" präsentieren kann. Mit der Wahl der Kleinen Hufeisennase will die Schweizerische Gesellschaft für Höhlenforschung SGH darauf hinweisen, dass gerade bei der Erforschung der unterirdischen Ökosysteme und der darin vorkommenden Arten noch ein enormer Handlungsbedarf besteht.
Die Kleine Hufeisennase (Rhinolophus hipposideros) wurde in der im Jahr 1797 publizierten «Naturgeschichte der Thiere Deutschlands» vom deutschen Naturwissenschaftler Moriz Balthasar Borkhausen erstmals erwähnt und 1800 vom Zoologen Johann Matthäus Bechstein wissenschaftlich beschrieben. Die Art gehört zur Familie der Hufeisennasen (Rhinolophidae), die in der Schweiz mit zwei Arten vertreten ist. Die Kleine Hufeisennase wird auf der Europäischen Roten Liste als "potenziell gefährdet", auf der Schweizer Roten Liste jedoch als "stark gefährdet" eingestuft. Sie ist eine prioritäre Art auf nationaler Ebene.
Kleine Hufeisennasen sind typische Höhlenfledermäuse, die vor allem Winterquartiere in Karstgebieten aufsuchen. Diese Tatsache führte dazu, dass diese Fledermausart zum "Höhlentier des Jahres 2022" gewählt wurde. Die Hufeisennase steht für eine grosse Zahl von Tierarten, die auf geschützte und frostfreie Rückzugsorte unter Tag angewiesen sind.
Die Kleine Hufeisennase ist eine der kleinsten einheimischen Fledermausarten. Sie ist gut an dem hufeisenförmig geformten Nasenaufsatz zu erkennen. Das Rückenfell ist bräunlich bis gelblichbraun, die Unterseite hell grauweiss gefärbt. Im Winterschlaf hüllt sich die Art komplett in die Flughäute ein. Dann hängen die Tiere in Höhlen, Stollen und Kellern mit Temperaturen von 6 bis 9 °C; immer auf Distanz zu den Artgenossen. Hufeisennasen hängen immer frei und werden nie in Spalten angetroffen.
In der Schweiz befinden sich die die Wochenstuben, also Kolonien, in denen die Weibchen im Sommer gemeinsam ihre Jungen aufziehen, in warmen Gebäudeteilen (Dächer, Dachböden). Dabei gebären Muttertiere nur ein einziges Junges, und dies nicht einmal jedes Jahr. Eine Fortpflanzung in Höhlen ist nicht bekannt, doch Männchen nutzen Höhlen in den Sommermonaten auch als Tagesquartiere. Kleine Hufeisennasen sind äusserst standorttreu und jagen Insekten vor allem in Wäldern in geringer Entfernung von den Sommerquartieren. Sie meiden jedoch beleuchtete Gebiete, da sie empfindlich auf Lichtverschmutzung reagieren. Der Aktionsradius beträgt in der Regel weniger als 20 Kilometer. Im Herbst ziehen sie sich in nahegelegene Karsthöhlen zurück, um dort einen Überwinterungsplatz zu suchen. Während des Winterschlafs können zu häufige Störungen zum Tod der Tiere führen.
Die Kleine Hufeisennase ist von allen Hufeisennasen am weitesten nach Norden verbreitet. Sie kommt im Mittelmeerraum und nach Norden bis West-Irland und im westlichen Grossbritannien vor. In der Schweiz kommt die Kleine Hufeisennase in den Karstgebieten der Jurakette und der Nordalpen vor. Einige Kolonien befinden sich auch im Wallis und in Graubünden. Ihre Populationen scheinen sich nach einem ähnlich drastischen Rückgang wie in anderen Teilen Europas langsam wieder zu erholen.